Was dem Bayern sein Helles und Weißbier ist dem Brüsseler sein Lambic und Geuze. Kaum eine Region ist so stolz auf sein kulturelles Biererbe wie das Pajottenland, eine fruchtbare, landwirtschaftlich geprägte Region südwestlich von Brüssel in der Provinz Flämisch-Brabant. Unter Bierliebhabern gelten diese Biere als besonders delikat, aber auch anspruchsvoll. Spontanvergorene Sauerbiere sind nicht jedermanns Geschmack, bieten jedoch eine komplexe Vielfalt an Flavoureindrücken.
Bierliebhaber aus aller Welt strömen alle zwei Jahre in die Region, um authentische Lambic- und Geuze-Biere zu erkunden. Denn dann öffnen die Mitglieder von HORAL (De Hoge Raad voor Ambachtelijke Lambiekbieren) ihre Brauereitore, um die Mystik rund um die spontanvergorenen Biere zu lüften.
Neben Entertainment für die gesamte Familie bieten die Brauereien auch allerhand Einblick in die Herstellung authentischer Geuze-Biere. Grund genug für den European Beer Star hinter die Kulissen zu blicken.
Lambic ist eine traditionelle belgische Biersorte, die für ihre einzigartigen Aromen und ihre komplexe Herstellungsweise bekannt ist. Ursprünglich wurde das Bier in den Wintermonaten von den Bauern in der Region um Brüssel gebraut. Die Biere wurden dann in die Stadt gebracht wo diese reiften und von sogenannten "Blendern" verschnitten wurden. Ursprünglich war - ähnlich der schottischen Whiskyherstellung - der Beruf des Brauers und Blenders getrennt. Seit 1997 sind Lambic und Geuze eine durch die Europäische Union geschützte Lebensmittelspezialität (Traditional Specialty Guaranteed (TSG)). Wer mehr zur Historie des Bierstils erfahren möchte, dem sei der interessante Artikel der Brewery History Society ans Herz gelegt.
Ziel des European Beer Star ist es genuine Bierstile zu promoten sowie deren Tradition und Originalität zu fördern. Daher war es nur logisch, dass der EBS in Zusammenarbeit mit HORAL in diesem Jahr die Beschreibung des Belgian-Style Geuze überarbeitet hat. Das Ergebnis der Arbeit ist in den Kategoriebeschreibungen zu finden.
Im Rahmen der Zusammenarbeit hat Frank Boon die Organisatoren des European Beer Star zur Toer de Geuze und einem Besuch in die Brouwerij Boon eingeladen. Der Besuch der Brauerei war Wissensvermittlung pur. Ein ganz großes Dankeschön an Frank, Jos und Karel Boon für die Gastfreundschaft und die tiefen Einblicke in die Geuze-Produktion. Die folgenden Informationen zur Herstellung der belgischen Bierspezialität stammen aus dem Besuch bei Familie Boon.
Die folgende Darstellung aus dem Sudhaus der Brauerei Lindemans fasst den Brauprozess als auch den Blending Prozess von verschiedene Lambic- und Geuze- Spezialitäten anschaulich zusammen:
Als Rohstoffe dienen neben Wasser und Gerstenmalz auch unvermälzter Weizen und gealterter Hopfen. Dies klingt auf den ersten Blick etwas seltsam, hat aber durchaus plausible Gründe:
Warum ist der Weizen unvermälzt? Unvermälzter Weizen hat im Gegensatz zu seinem Zustand nach der Keimung einen geringeren Gehalt an Ferulasäure, dem Vorläufer des 4-Vinylguajacol, das für phenolische Geschmackswahrnehmung sorgt (vgl. deutsche Weizenbiere), welche im Lambic nicht im Übermaß erwünscht sind.
Warum ist der Hopfen gealtert? Die Aufgabe des Hopfens in Lambic-Bieren ist nicht die Bitter- oder Aromagebung, sondern die Erhöhung der Haltbarkeit. Vor allem die β-Säuren des Hopfens sind hierbei von Bedeutung. Natürlich soll der Hopfen kontrolliert gealtert sein und ein käsiger Geruch durch die Isovaleriansäure vermieden werden.
Die Biere werden im Springmaischverfahren hergestellt - wiederum mit dem Ziel die Bildung von 4-VG zu vermeiden. Zur Überraschung deutscher Brauer wird der Iodnormalität nicht die Bedeutung zugesprochen, die man bei Bieren deutscher Brauart erwartet. Das liegt an den Hefen, die für den Gärvorgang verantwortlich sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Bierstilen, sind Lambic-Biere nämlich spontanvergoren. Nach dem Kochvorgang kommt die Würze auf das Kühlschiff, auf dem die Würze mit der Umgebungsluft in Kontakt kommt und beim Abkühlen inkubiert wird, wobei das Abkühlen in möglichst kurzer Zeit erfolgen soll. Besonders Brettanomyces Bruxellensis and Brettanomyces Lambicus, aber auch Saccharomyces-Hefen und Pediokokken bestimmen den Gärverlauf. Die Mystik nimmt seinen Lauf... Wobei die Lambic-Brauer genau wissen, was sie machen. Denn um auf die vielseitigen Mikroben und deren Biotransformationen einzugehen, muss die Bereitstellung der Nahrung (Substrat) stimmen. Dies wird über die Sudhausarbeit reguliert. Da v.a. Brettanomyces-Hefen fast alle Arten von Zuckern in unterschiedlicher Geschwindigkeit verarbeiten können und die Lagerung von Lambic über mehrere Jahre vonstatten gehen kann, muss auch Substrat für mehrere Jahre zur Verfügung stehen. Daher werden neben Mono- und Disacchariden auch Oligo- und Polysaccharide nach dem Maischvorgang benötigt. Und das ist der Grund warum belgische Lambic-Brauer gar nicht böse sind, wenn ein Blausud aus dem Sudhaus ausgeschlagen wird. Der "Rohstoff" Hefe wurde bei Lindemans sehr praxisnah dargestellt :-)
Grundsätzlich ist die Sudhausarbeit in vielen der Geuze-Brauereien noch sehr handwerklich geprägt wie die folgenden Clips illustrieren.
Nach der Rast auf dem Kühlschiff und der Trubabscheidung in einem Setztank kommen die Lambic-Biere in Eichenholzfässer, wo die Biere für mindestens 6 Monate lagern müssen, um als Lambic-Biere auf den Markt kommen zu dürfen. Die Biere werden mehrere Jahre gereift. Dabei kann über die Zeit ein steter Abbau von Restextrakt beobachtet werden. Mit der Reifungszeit verändert sich also auch das Flavourprofil der Lambic- Biere. Neben dem Zuckerabbau setzen auch Veresterungsreaktionen ein. Dabei besonders zu erwähnen ist die Bildung von Milchsäureestern, die den Bieren eine fruchtige Komplexität im Aroma verleihen. Junge Lambic-Biere können ähnlich den deutschen Lagerbieren auch Schwefelnoten enthalten, die mit der Zeit abgebaut werden. Aber auch die Holzfassreifung macht sich bemerkbar und Barrique-Komponenten gelangen ins Bier. Man kann also sagen, dass junge Lambic-Biere süßer sind als die länger gereiften Vertreter und mit der Zeit die Säurenoten als auch die Komplexität und Tiefe der Biere zunimmt. Die Säure sollte dabei immer elegant eingebettet sein. Essigsäure ist zwar bis zu einem gewissen Grad in den Bieren vertreten, sollte aber nicht geschmacklich in Erscheinung treten. Das ist der Grund warum auch bei Lambic-Brauereien Sauerstoff in der Gärungs- und Reifungszeit vermieden werden soll. Daher werden die Holzfässer auch bis zum Anschlag mit dem edlen Tropfen gefüllt.
Jetzt wurde viel über Lambic-Biere erzählt, aber was ist denn jetzt Geuze? Lambic-Biere sind eigentlich ähnlich zu Zwicklbieren. Lambic-Biere werden direkt aus dem Holzfass ausgeschenkt und sind daher in Flaschen nicht erhältlich. Die am Markt erhältlichen Lambics sind mit Früchten versetzt, zum Beispiel:
Geuze dagegen ist eine Mischung aus jungen und gereiften Lambic-Bieren, die in Flaschen abgefüllt dort nachgegoren werden. Die Aufgabe des jungen Lambic ist dabei die Substratzugabe für die Nachgärung, während das bereits gereifte Lambic komplexe Aromen in den Blend gibt. Dies ist die Aufgabe des erfahrenen Geuze Blenders. Das Ergebnis ist ein spritziges und komplexes Bier mit einer lebendigen Rezenz und einer erfrischenden Säure.
Mit dem geballten Wissen über die Herstellung konnte es weiter an die Verkostung der unterschiedlichen Köstlichkeiten gehen. Und am folgenden Tag wartete ja noch die eigentlich Bustour...
Die Toer de Geuze ist eine großartige Gelegenheit, die Brauereien zu besuchen, die diese namensgebenden traditionsreichen Biere herstellen, und einen Blick hinter die Kulissen ihrer Herstellung zu werfen. Alle teilnehmenden Brauereien öffnen ihre Tore, wobei die Brauereihöfe eher Formen eines Festival-Areals, eines Jahrmarkts oder eines gemütlichen Nachbarschaftstreffens annehmen können. Eines ist sicher: langweilig wird einem sicherlich nicht.
Horal organisiert seit 1997 im zweijährlichen Rhythmus die Toer de Geuze. 13 Mitgliedsbrauereien nehmen dabei teil. Die verschiedenen Brauereien werden mit Bussen angefahren, können jedoch auch individuell besucht werden, was einige der Besucher zu einer ausgiebigen Radtour nutzen. An einem Tag werden vier Brauereien mit dem Bus angefahren, sodass es gar nicht möglich ist, alle Brauereien an einem Tag zu besuchen - ein Erfolgsrezept, denn viele der über 8.000 Besucher waren nicht zum ersten Mal bei der Toer de Geuze. Die meisten Besucher kommen immer wieder, denn es gibt jedes Mal Neues zu entdecken. Der Autor hatte die Gelegenheit die Stationen Lindemans, Timmermans, Hanssens und Oude Beerzel zu besuchen. Los ging die Bustour vom Bahnhof in Halle.
Bei Lindemans können die Besucher die Kunst der Fruchtzugabe zum Lambic erleben. Diese Brauerei ist bekannt für ihre Kriek (Kirsch) und Framboise (Himbeer) Biere, aber auch ihre kreativen Neuinterpretationen und Collaborations haben der Brauerei einen international renommierten Namen verliehen. Die Brauerei hat sich für das Event richtig rausgeputzt. Für die Besucher wurde live gebraut, man konnte Lambics mit verschiedenen Lagerzeiten verkosten und sogar seine eigene Geuze mischen.
Timmermans ist eine der ältesten Lambic-Brauereien in Belgien und steht für Tradition und Handwerkskunst. Und das bewiesen sie beim Live-Brauen mit ihren Maschinen, die andernorts als Museumsstücke ausgestellt werden würden. In der Bildergalerie finden sich einige Eindrücke des Brauprozesses bei Timmermans und Lindemans. Auch bei Timmermans konnten die Besucher "zwickeln" und bei Party-Atmosphäre im Brauereihof den Tag bei gutem Essen und Trinken genießen
Etwas ruhiger ging es bei Hanssens zu. Hanssens ist bekannt für ihre ungewöhnliche Herangehensweise an die Geuze-Produktion. Anstatt eine Mischung aus jungen und gereiften Lambics zu verwenden, setzen sie auf ausschließlich gereifte Biere, was zu einem intensiveren und komplexeren Geschmack führt. Bei gemütlicher Gartenatmosphäre konnten die außergewöhnlichen Spezialtäten verkostet werden.
Bei Oude Beerzel erwartete die Besucher eine geführte Kellertour mit Verkostung von eigens hergestellter Marmelade (Rhabarber und Kirsche). Am Ende der Tour lud der Obstgarten samt Grillgerüchen, Kirmesklängen und leckeren Hauskreationen die Gäste ein, den Tag gemütlich ausklingen zu lassen, bevor der Bus wieder zurück zum Bahnhof Halle abfuhr.
Die Toer de Geuze 2024 ist nicht nur eine Möglichkeit, einige der besten Biere Belgiens zu probieren, sondern auch eine Reise durch die Geschichte und Tradition des Lambic- und Geuze-Bieres. Es ist eine Gelegenheit, die Menschen hinter diesen einzigartigen Bieren kennenzulernen und die Leidenschaft zu erleben, die sie in ihre Arbeit stecken. Der European Beer Star und der Autor bedanken sich recht herzlich bei HORAL für die tatkräftige Unterstützung bei der Überarbeitung der Geuze Kategoriebeschreibung. Besonderer Dank gilt der Familie Boon für Ihre proaktiven Hilfestellungen und die Einladung zur Toer de Geuze 2024.
Ein Besuch im Herzen Europas wäre wohl nicht vollständig ohne den Besuch des Europäischen Parlaments. Wir können einen Besuch in Brüssel, sowie die Toer de Geuze nur jedem ans Herz legen. Es lohnt sich!
Kilian Kittl